Der Balkan boomt in Österreich

Erschienen im Wiener Wissenschaftskompass.

Balkanbeat, Balkanpop, Balkanjazz – und bei gewissen Schichten sogar Turbofolk – kommen in Österreich gut an. Ein Forschungsprojekt des Instituts mediacult hat sich dem Hype angenommen.

Alles beginnt mit der Problematik: Was ist der Balkan? Die Durchschnittsmeinung: Fängt so irgendwo bei Slowenien an, hört nahe an Griechenland wieder auf. Und naja, vielleicht Rumänien und/oder ein bisschen Bulgarien?

So unkonkret die Definitionsversuche, so heterogen die Musikstile, die unter „Balkanmusik“ zusammengefasst werden. Ganz verschiedene Strömungen gibt es da: von sehr traditioneller Musik, etwa Čalgija aus Mazedonien, die sich weiter im Osten dann zur poppigen Chalga weiterentwickelt hat. Oder von Jazz, der mit traditionell serbischen Elementen vermischt wird. Oder aber die teils schlagerhaft derbe Popmusik, in der es immer um dicke Titten, dicke Autos, dicken Klunker geht, genannt Turbofolk. Außerdem gibt es noch die elektronische Tanzmusik, mit ein paar aus Roma-Musik gefladerten Elementen.

Von der Film- zur Partymusik

Dieses Konvolut an Musikstilen schwappt seit den 1990er Jahren kontinuierlich nach Österreich – und findet gehörig Anklang. Schon mitDer Balkan boomt_Balkanboom_Cover der Gastarbeiterbewegung in den 1960er Jahren zieht die „Balkanmusik“ Österreich ein, vermehrt im urbanen Raum. Doch eigentlich war es die Aufnahme in die Kategorie „World Music“ verschiedener bekannter Produzenten und Musiker (Emir Kusturica, Goran Bregović), die den Balkan so richtig ins Josefstädter Wohnzimmer gebracht haben. Vor allem Filmmusik spielte dabei eine wichtige Rolle.

Nach und nach versuchten die ersten experimentierenden DJs Balkansounds aufzulegen. Im Schikaneder starteten Bruno (Batinić) und Laura (Samaraweerová) 1998 die ersten Balkanpartys. Und der Name wurde Programm, wurde Marke, wurde Magnet für aberhunderte Jugendliche.

Weitere Popularität erlangte die zum Tanzbeat in Clubs modulierte Musik als sich 2004 der bekannte Hamburger Ulf Lindemann alias DJ [dunkelbunt] dem Stil annahm. Kräftig in Wien tourend wurde damit der Höhepunkt des Balkanbooms eingeleitet. Der eine weitere Spitze im Folgejahr erfuhr: Mittlerweile zur absoluten Institution herangereift, schaltete der ost klub seine Lautsprecher zum ersten Mal ein. Bandgrößen wie !DelaDap und Russkaja entstiegen dem verwinkelten Keller am Schwarzenbergplatz. Und während etwa Russkaja mit der „Russendisko“ bereits den nächsten Trend verantwortet, hypet DJ [dunkelbunt] gerade die Zwanziger und produziert Electro-Swing.

Buch: Gebesmair, Andreas/Brunner, Anja/Sperlich, Regina: „Balkanboom! Eine Geschichte der Balkanmusik in Österreich“, Peter Lang internationaler Verlag der Wissenschaften. Frankfurt am Main: 2014

 

„Balkanmusik ist eine Brücke“

Die Musikethnologin Anja Brunner hat am Forschungsprojekt zur Balkanmusik in Wien gearbeitet.

Wie definieren Sie Balkanmusik?
Anja Brunner:
Für das Buch haben wir Balkanmusik so definiert, dass damit jegliche Musik gemeint ist, die medial so bezeichnet wird oder aus diesem geographischen Bereich kommt. Es ist ein sehr heterogener Begriff.

Welche sozio-demographischen Schichten hören diese Musik?
Das ist vom Genre abhängig. Nimmt man Balkanjazz, findet man das typische Jazzpublikum. Bei der elektronischen Tanzmusik, wo der ost klub eine große Rolle spielt: typisch jugendliches, eher akademisch-intellektuelles, studentisches Publikum. Da werden Sie selten 60-Jährige finden. Und in den Lokalen der Ottakringer Straße oder in der Lugner City ist Turbofolk angesagt, da ist das Publikum wieder ganz anders. Fast ausschließlich migrantisch geprägt. Vermutlich auch eher im Arbeitermilieu angesiedelt. Im Projekt wurde die Publikumsbetrachtung aus methodischen Gründen aber nicht mit einbezogen.

Es werden viele unterschiedliche Genres unter Balkanmusik subsummiert. Unterscheidet man da in Österreich?
Mein Eindruck ist, dass es tatsächlich eine Grenze gibt. In den Interviews war zu spüren, dass es eine starke Abgrenzung zum Turbofolk gibt, vor allem von Studierenden und Studierten. Auch DJs grenzen sich ab. Jazzfans würde man auf einem Ceca-Konzert [Star der Turbofolk-Szene, Anm.] nicht finden.

Anja Brunner Institut für Musikwissenschaft

Anja Brunner

Warum hat Turbofolk so eine Sonderstellung?
Diese Musikrichtung wird sehr stark mit Serbien und dem Milosevic-Regime assoziiert. Und mit sexualisierten Klischees – halbnackte Frauen, muskelbepackte Männer mit Goldketten und dicken Autos. Starke Bilder werden vermittelt. Turbofolk wurde so zum polarisierenden Schlagwort all jener, die diese transportierten Sujets ablehnen.

Glauben Sie, dass Turbofolk desintegrativ wirken kann?
Das ist schon recht weit von unserem Forschungsgebiet entfernt. Ich kann das nicht konkretisieren, aber ich glaube, dass bei Ceca-Konzerten in Österreich Menschen mit Bezug zu allen Ländern des Balkans gemeinsam feiern.

Kann Balkanmusik also Brücken zwischen Menschen bauen?
Ich denke, dass Balkanmusik schon eine Brücke sein kann. Es gibt durchaus Überschneidungen im Publikum zwischen den verschiedenen Genres und auch bei den Musikern. Jovan Torbica ist einer der besten Kontrabassisten in diesem Bereich. Er hat mit Roma-Gruppen auf Hochzeiten gespielt, also im rein migrantischen Bereich, aber auch mit Balkanjazzbands und bei der Pop-Elektrogruppe !DelaDap. Er überschreitet da Grenzen. Die Turbofolk-Szene ist aber von der Weltmusik-Balkanmusik-Szene doch sehr unterschiedlich, da gibt es eigentlich keine Überschneidungen. Unser Forschungsergebnis zeigt, dass es sehr getrennte Welten sind: Turbofolk und migrantisch vs. Weltmusik/Balkanmusik/Jazz-Pop/akademisch.

Welche Rolle spielt Balkanmusik im ruralen Gebiet?
Entwicklungen neuer Musikmoden spielen sich sehr oft im urbanen Gebiet ab, weil es hier die Möglichkeiten und Ressourcen gibt. Ich gehe aber davon aus, dass es „Disko Partizani“ von Shantel bis in die Dorfdisco geschafft hat. Der Song war Nummer Eins in den Ö3-Charts.

Die Daten für das Forschungsprojekt wurden bis 2010 erhoben. Wie empfinden Sie den Boom heute?
Es dürfte sich viel verändert haben. Ich glaube, der Hype ist zurückgegangen. Es hat sich normalisiert. Auch der ost klub ist nicht mehr nur auf der Balkanschiene, eher allgemein Weltmusik. Der richtige Boom begann wohl 2004/05 und war 2010/11 wieder weg. Ähnlich der Boom der afrikanischen Musik in den 1990er Jahren oder in den frühen 1990ern die keltische Musik in der Weltmusik-Szene. Balkan war der Hype der 2000er Jahre, der in Österreich sehr stark angekommen ist, auch aufgrund von vielen Anknüpfungspunkten geographischer und historischer Natur.

 

Anja Brunner ist Doktorandin am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Gemeinsam mit Andreas Gebesmair und Regina Sperlich hat sie das Buch „Balkanboom! Eine Geschichte der Balkanmusik in Österreich“ verfasst. Für Brunner ist aus ästhetischen Gründen besonders die Tanzbarkeit der Balkanmusik anziehend. Zwar hat sich die Musikethnologin ursprünglich für klassische Musik interessiert, sowohl ihre Diplomarbeit als auch ihre Dissertation behandeln jedoch populäre Musiken aus Afrika.

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