Erschienen im Konzerthaus-Magazin
Schauspielschwergewichte Karl Markovics und Wolf Bachofner hoben am 10. Juni 2013 die Stimmen zum Gesang. Zum Wienerlied konkreter gesagt, wunderbar begleitet von den Neuen Wiener Concert Schrammeln und Alexander Kukelka.
Culture-Clash. Schlagerhafte Volkskultur bemächtigt sich des Mozart-Saales. Wobei wir wieder beim Mix an sich wären, den das Wiener Konzerthaus ausmacht: Neben Klassiklegenden singen Poptitanen und eben auch Schauspieler, die eine alte Wiener Tradition weiterleben lassen wollen. Wenn im Großen Saal die Opernsänger trällern, im Untergeschoß experimenteller Electro krächzt, kann im Mozart-Saal schon auf das Weana-Klischee eingedroschen werden.
Zwar sehen Bachofner und Markovics im Frack nebst dem Kaffeetischerl eher aus wie der Herr Ober aus dem Traditionscafé um die Ecke. Das ist wohl auch der Grund, warum diese Kunst hier gar so deplaciert wirkt. Das Wienerlied hat seine Heimat in kleinen Salons, verrauchten Kaffeehäusern und versoffenen Heurigenlokalen. Dort wäre es wohl authentischer präsentiert.
Doch ist es bezeichnend, wie man mit dem Kulturgut umgeht. Zuerst ist es Volkskultur, bis es in Vergessenheit gerät, um endlich museal im großen Konzertsaal ausgestellt zu werden. Was der Qualität in den Hallen hier keinen Abklang bringt. (Nur das obligatorische Achterl auf dem Kaffeetischerl hat gefehlt.)
Genug der pseudo-soziologisch-philosophisch-historisch-musikwissenschaftlichen Abhandlung, ob Wienerlied hier hin passt oder nicht – die Neuen Wiener Concert Schrammeln geben freilich eine große Show. Witzig und humorvoll und mit einem Augenzwinkern all dem gegenüber, das seit 20 Jahren nicht mehr unter «politisch korrekt» fällt. Wohl, der Schauspieler Stimmen wären ohne Verstärker dem Untergang geweiht. Trotzdem ist es nicht nur Musik, wenn die beiden Kapazunder des österreichischen Flimmertheaters Marke «Kommissar Rex» und selbstverständlich weit darüber hinaus über Krüppel, Laternen und die selige Mutter singen.
An die große Zeit des Varieté fühlt man sich erinnert. Als Apollo noch Theater und nicht Kino war. Wie sehr sehnt sich die Wiener Seele doch dahin zurück. Mit «Wo bleibt die alte Zeit» fasst der Komponist Ludwig Gruber den ganzen Abend in Perfektion zusammen. Wo ist die Zeit, früher, als alles so viel besser war. Die Komponisten konnten sie portraitieren, die morbide, traurige, raunzerte und doch immer höfliche und charmante Seele des Wiener Volkes.
«Wenn i amal stirb» oder «I brauch ka schöne Leich» – mit den Abgründen des Lebens und Todes beschäftigt sich die tiefere und dunkler timbrierte Stimme Bachofners. Er besingt, was den ganzen Abend ausmacht: Wein, Weib und den Tod. Beim Stammpublikum, das hier zahlreich erschienen ist und all den tragikomischen Tand bereits in der Jugend kennen lernte, wissen die Lieder zu begeistern. An der aktuellen Jugend, vollständig durch Abwesenheit glänzend, schießt diese Kunstform völlig vorbei. Conclusio: Auch wenn’s net danoch ausschaut, Gnä‘ Frau, in Wien bleibt der Caffè americano auf a Randerl immer no a Verlängerter.