Erschienen im Konzerthaus-Magazin
Der deutsche Countertenor-Superstar Andreas Scholl gastierte am 13. März 2013 im Mozart-Saal. Begleitet wurde er von seiner aus Israel stammenden Frau, der charmanten Pianistin Tamar Halperin. Und wer jetzt an Kastraten-Arien denkt, wird enttäuscht. Denn Haydns Musik markierte nur den Anfang eines Abends, der sich schließlich bis zu Werken von Johannes Brahm erstreckte.
Wer Countertenor sagt, denkt an Händel, manche noch an Porpora, Vinci oder Hasse. Aktuell komplett daneben, wenn man im gleichen Satz noch Andreas Scholl hinzufügt. (Klar, er gab schon die Titelrolle in «Giulio Cesare» bei den letzten Salzburger Festspielen.) Vielleicht auch, weil Andreas Scholl neben seinen Kollegen der jüngeren Generation, etwa Philippe Jaroussky oder Max Emanuel Cencic – und sogar der noch jüngeren Generation um Valer Barna-Sabadus oder Terry Wey – langsam zum «alten Eisen» gehört: Barockexperte Scholl ist weit weniger festgefahren und nicht nur auf die eine Epoche fixiert, als es der Nimbus der «Countertenöre» aktuell vorgibt.
So hört man nun Lieder aus Joseph Haydns später Londoner Zeit, von Wolfgang Amadeus Mozart und Franz Schubert, dem Großmeister des romantischen Liedes. Sogar bis Johannes Brahms spannt Scholl den Bogen, dessen Volksliedbearbeitungen zum wohl berühmtesten Liedgut überhaupt zählen. Die Liederreise nennt er «Wanderer», er hat sie auch auf CD (bei DECCA) gebannt.
Seine verhältnismäßig kleine Stimme wurde in Vergangenheit schon öfter kritisiert, wenn der Altus in großen Häusern gastierte. Im Mozart-Saal jedoch scheint die Stimme bestens aufgehoben. Das samtig-kehlige Organ strahlt voll lyrischem Glanz, lässt bei Schuberts «Im Haine» die Verzierungen perlen wie Kohlensäure im Champagnerglas. In «Der Tod und das Mädchen» stellt er sinnigerweise das Mädchen im Falsett, den Tod jedoch im Brustregister dar und beweist so, auch über einen nicht zu verachtenden Bariton zu verfügen.
Durch seine perfekte Obertonbalance erreicht der im tieferen Counter-Repertoire angesiedelte Scholl etwa beim (doch etwas nach unten transponierten) «Veilchen» von Mozart glänzende Mezzo-Höhen, ohne grob forcieren zu müssen. Aber über Technik braucht man mit diesem Deutschen nicht zu diskutieren. Lange schon ist er vom Schüler der Schola Cantorum Basiliensis selbst zum Professor an selbiger Hochschule gereift.
Auch die bezaubernde Tamar Halperin weiß mit ihren beiden Solonummern, «Intermezzo A-Dur» von Johannes Brahms und das «Rondo F-Dur» von Mozart, sichtlich zu begeistern. Als Barock- bzw. Bachexpertin begibt sie sich selbst an der Seite ihres Mannes (was der sichtlich auf Wolken schwebend des Öfteren betont) bis ins romantische Repertoire.
Es scheint die große Zeit der Countertenöre eingeleitet worden zu sein. Als der Brite Alfred Deller in den 1940er Jahren sein Stimmfach zunehmend populärer machte, stieß er vor allem am europäischen Festland noch weitgehend auf Widerstand. Auch heute kann man spannenderweise vielerorts das Publikum noch in Erstaunen versetzten, lässt man als Mann seine Stimme die zweite (manchmal dritte) Oktave erklimmen. Scholl alleine füllt mittlerweile ganze Konzertsäle. Und jeder findet es großartig, einen Mann so hoch singen zu hören. Und niemand denkt mehr an Porpora. Oder Händel.