Erschienen im Wiener Wissenschaftskompass
Das Wiener Kriminalmuseum im Seifensiederhaus in der Leopoldstadt präsentiert sich als liebevoll gestaltetes Kleinod der Museumslandschaft. Hier merkt man nicht etwa Liebe zu Mord und Totschlag, sondern zur Historie und dem Detail.
Zugegeben, etwas in der Zeit zurückversetzt kommt man sich vor, wenn man das alte Haus in der Großen Sperlgasse betritt. Das herrschaftliche Anwesen stand immerhin schon hier, als es noch jüdische Gettos oder das Heilige Römische Reich mitsamt Kaisern gegeben hat. Heute beheimatet es neben den Privaträumlichkeiten der Eigentümerfamilie Seyrl das Wiener Kriminalmuseum, welches in diesem geschichtsträchtigen Gebäude passend untergebracht ist. Eine unerwartet große Ansammlung von Zeichnungen, Plänen, Mordinstrumenten und vielen, vielen Geschichten, die Betreiber und Direktor Harald Seyrl allesamt aus dem Stehgreif vortragen kann, ruhen in den tiefen Kellern. Es wird zwar nicht Wert darauf gelegt, den Besuchern einen kalten Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Trotzdem überkommt es einem manchmal, wenn man sich die mörderischen Exponate ansieht.
„Es ist weniger gruselig, als wenn Sie mit Militärgeschichte zu tun haben. Da sind mit einer Aktion 20.000 Menschen ums Leben gekommen, mit abgeschossenen Füßen, mit halben Gesichtern oder dem Gastod entgegen gehend. In der Kriminalgeschichte stirbt halt immer nur einer“ erklärt Seyrl mit nüchterner Distanz. „Nein, da wird man nicht morbid, wenn man sich die ganze Zeit damit beschäftigt“, sagt der Mann, der neben diesem auch noch ein Museum auf Schloss Scharnstein in Oberösterreich besitzt. Nach dem mit wunderschönen Stofftapeten bespannten Salon zeigt der Direktor noch sein Arbeitsbüro. Turmhohe Regale, vollgestopft mit einer ganzen Armada an Ordnern. Der kleine Computerbildschirm ist am großen Holzschreibtisch kaum zu entdecken, so überwiegt die Wucht der Dokumente ringsherum. Digitalisierung? „Nein, also, darum sollen sich die nachfolgenden Generationen kümmern“, denn es sei schon schwierig genug, so Ordnung zu halten. Das ist nicht weiter verwunderlich: Harald Seyrl beleuchtet in seinem Museum immerhin über 400 Jahre österreichischer Geschichte.
Normalfall Kriminalität
In der Zwischenkriegszeit nutzte man das Polizeimuseum, um Staatsbesuch herumzuführen. „Man durfte natürlich keine negativen Emotionen hervorrufen bei den Gästen. Man zeigte den Franzosen in den 1920er Jahren nicht das Heeresgeschichtliche Museum, weil dort hätten sie die erbeuteten Fahnen aus der napoleonischen Zeit gesehen, den Italienern hat man nicht das kunsthistorische Museum zeigen dürfen, weil die hätten die Hälfte des Schatzes gleich für sich beansprucht, die Tschechen und sonstige Vertreter von Nachfolgestaaten Österreichs konnte man nicht in die Schatzkammer führen, denn die hätten sich dort bedient“, erklärt Seyrl. So einigte man sich oft auf die neutrale Polizei.
Die Auseinandersetzung mit der Kriminalität und Polizeigeschichte sei eine Aufgabenstellung wie jede andere auch. Man identifiziere sich eben in immer stärkerem Maße mit dem Thema. Besonders faszinierend ist aber, welchen Einblick uns die Geschichte in das Leben der normalen Bürger gibt. Während aus vergangenen Tagen das Leben von Adeligen und berühmten Menschen gut dokumentiert ist, so weiß man wenig über das Leben der Untertanen, des niederen Standes. „Wie verhält sich der Staat dem Bürger gegenüber im autoritären, feudalen oder demokratischen Staat? Darüber bekommen wir Aufschluss, wenn sich die zwei Ebenen berühren“, erklärt Harald Seyrl. Zwar gebe es keine großen Vergleichsmöglichkeiten, jedoch sehr genaue Detailaufnahmen. „Wenn Sie wissen wollen, wie die Kleinrentnerin in der Vorstadt gelebt hat, oder der Schusterbub an seinem Arbeitsplatz, dann ist die Kriminalgeschichte oft der einzige Ort, wo man etwas darüber erfährt. Sofern in seinem Umfeld etwas Kriminelles passiert“, sagt der Direktor.
Mumifizierte Köpfe
Das Herzblut des Direktors ist seinem Museum förmlich anzusehen. Alles steht oder liegt fein und säuberlich arrangiert, dekoriert mit reichlich Information, aber nicht zu viel, man wolle Besucher ja nicht überfordern. So wie der Kopf des Wiener Beamten Franz von Zahlheim, der streng genommen nicht hingerichtet hätte werden dürfen. „Das ist ein ungewöhnlicher Kriminalfall. Joseph der II. hatte die Todesstrafe abgeschafft. Durch eine Anlassgesetzgebung hat der Kaiser aber verfügt, dass diese Abschaffung für einen Tag ausgesetzt wird, damit der Täter hingerichtet werden kann. Das geschah, weil der Mann Beamter und sein niederes Motiv – Raubmord – besonders verwerflich war“, erklärt Seyrl.
Wie ein wandelndes Geschichtslexikon parliert der Direktor auf seinem Weg durch die Kriminalität vom Hexenprozess Plainacher 1583 bis zum OPEC-Attentat 1975. Die zwanzig Räume des Museums folgen dem Lauf der Geschichte. Im tiefen Keller warten eine Guillotine und ein Galgen auf den Besucher, beide waren früher in Betrieb. Der Pfad führt schließlich in die Moderne. Spannend ist, wie sich etwa die Tracht der Polizisten geändert hat – parallel dazu Mordinstrumente und forensischen Methoden. Wenn man am Ende des Rundgangs im hübschen Innenhof angelangt und wieder das Licht der Welt erblickt, fällt jedoch der gefürchtete Schauer nicht ab. Er entstand gar nicht erst. Harald Seyrl hat Recht. Es ist eine Thematik wie jede andere – eine schreckliche, aber wichtige und spannend aufbereitet dazu.
Das Wiener Kriminalmuseum, vereinigt mit dem Museum der Bundespolizeidirektion Wien befindet sich im so genannten Seifensiederhaus in der Großen Sperlgasse 24, 2. Wiener Gemeindebezirk. Geöffnet ist das ganze Jahr, Donnerstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.